Making Europe Fit for the Digital Age?
The EU’s Approach to Regulating Online Disinformation through the Lens of Article 10 ECHR
DOI:
https://doi.org/10.25365/vlr-2025-9-2-140Schlagworte:
Desinformation, Gesetz über digitale Dienste (DSA), Artikel 10 EMRK, MeinungsfreiheitAbstract
Als Reaktion auf die zunehmende Verbreitung falscher und irreführender Inhalte über digitale Plattformen hat die Europäische Union (EU) ihren regulatorischen Ansatz gegenüber Online-Desinformation in jüngeren Jahren verstärkt. Während sie zunächst auf freiwillige Selbstregulierung durch Plattformbetreiber setzte, hat die EU mittlerweile einen Wandel hin zu einem ko-regulatorischen Ansatz der Inhaltsregulierung vollzogen. Das zentrale gesetzgeberische Instrument in diesem Zusammenhang ist der im Jahr 2022 verabschiedete Digital Services Act (DSA). Dieser sieht spezifische Risikomanagementpflichten für sehr große Online-Plattformen vor, darunter auch Verpflichtungen zur Bewältigung von Risiken im Zusammenhang mit Online-Desinformation. Der DSA enthält jedoch keine präzise Definition sämtlicher Inhaltskategorien, die er zu regulieren beabsichtigt – einschließlich Desinformation. Infolgedessen kann sein Anwendungsbereich auch (unabsichtliche) Misinformation erfassen, was eine Abkehr von früheren, unverbindlichen EU-Initiativen darstellt, die ausdrücklich auf (intendierte) Desinformation abzielten. Dieser erweiterte Regelungsbereich birgt die Gefahr, dass bestimmte Formen von Werturteilen – die grundsätzlich unter dem Schutzbereich des Artikels 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) stehen – im Rahmen der in Artikel 35 DSA normierten Risikominderungsverpflichtungen einer Inhaltsmoderation unterzogen werden. Diese regulatorische Unschärfe wirft daher Fragen hinsichtlich der zulässigen Beschränkungen der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 10 EMRK auf. Vor dem Hintergrund der EMRK sowie der umfangreichen und gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur Meinungsfreiheit unterzieht dieser Beitrag das unionsrechtliche Regelungsregime zur Bekämpfung von Online-Desinformation einer kritischen Analyse. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf den Artikeln 34 und 35 DSA. Der Beitrag argumentiert, dass der DSA zwar legitime Ziele verfolgt – wie den Schutz der öffentlichen Gesundheit und der Rechte Dritter –, seine begriffliche Unbestimmtheit jedoch zu einer Überregulierung führen kann, insbesondere im Hinblick auf bestimmte Formen von Misinformation, die sich in wertenden Stellungnahmen äußern. Der Beitrag kommt zu dem Ergebnis, dass der DSA zwar im Großen und Ganzen mit menschenrechtlichen Standards im Einklang steht, jedoch eine größere begriffliche Klarheit sowie eine stärkere Orientierung an der EGMR-Rechtsprechung erforderlich sind, um eine vollständige Vereinbarkeit mit den Prinzipien der Meinungsfreiheit nach Artikel 10 EMRK zu gewährleisten. Weitere Forschung ist zudem erforderlich zur tatsächlichen Reichweite und Wirkung von Online-Desinformation sowie zur praktischen Umsetzung der DSA-Vorgaben durch Plattformbetreiber – insbesondere im Hinblick auf informationsgestützte Werturteile.
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